Die Gründung des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern
DER INITATOR
Interview mit Manfred Dachner zur Gründung des WEISSEN RINGS in Mecklenburg-Vorpommern vor 25 Jahren
Herr Dachner, die Gründung des Landesverbandes des WEISSEN RINGS in Mecklenburg-Vorpommern geht auf Ihre persönliche Initiative zurück. Wie kam es dazu?
Manfred Dachner: Es war im Jahr 1990. Ich hatte Urlaub und las entgegen meiner sonstigen Gewohnheit eine bunte Zeitschrift. Sie enthielt einen Artikel über ein Opfer häuslicher Gewalt. Eine Frau schilderte, wie sie und die Kinder über lange Jahre von ihrem Mann drangsaliert und geschlagen wurden. Und dann war es spannend zu lesen, dass es einen WEISSEN RING gibt, der diese Frau über lange Zeit begleitet hat. Dort wurden alle Formen der Begleitung geschildert. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon 19 Jahre im Polizeidienst und immer schockiert, dass Menschen die Opfer einer Straftat geworden waren, nach ihrer Vernehmung als Zeugen, in ihre Häuslichkeit zurückgeschickt wurden. Ein Ort an dem sie drangsaliert, die Kinder geschlagen wurden und der Mann, im alkoholisierten Zustand, die Möbel zertrümmerte. Es gab ja damals keine Wohnungen, die man hätte anbieten können und Frauenhäuser schon gar nicht. Das war schon sehr tragisch.
Sie beschlossen also so eine Organisation auch in Mecklenburg zu gründen?
Manfred Dachner: Ja, als ich gelesen habe, dass der WEISSE RING menschlich und finanziell hilft, habe ich gedacht, wir müssen etwas unternehmen, um diese Hilfsorganisation nach Mecklenburg zu bekommen.
Wie sah das praktisch aus?
Manfred Dachner: Ich schrieb an den WEISSEN RING nach Mainz. Doch der Brief kam wieder zurück. Telefonisch bekam ich keinen Anschluss. Die Telefonnummer stimmte nicht. So etwa acht Wochen später sagte ich zu meinem Kollegen: „Fahre bitte mit dem Auto nach Mainz und ermittle, wo die Organisation zu finden ist“. Mit zwei zusätzlichen Kanistern Benzin zum Nachtanken fuhr er los. Das war noch vor der Währungsunion. Übernachtet hat er im Auto, im Teutoburger Wald, den er bisher nur aus dem Geschichtsbuch kannte. Das war für ihn wie im Märchen. In Mainz fand er den WEISSEN RING. Dort empfing ihn zu seinem großen Erstaunen der Generalsekretär. Wir kannten in der DDR ja nur einen Generalsekretär! Er wiederum war sehr erstaunt über den Besuch aus Mecklenburg.
Wie ging es hier in Mecklenburg weiter?
Manfred Dachner: Der Generalsekretär kam im Januar 1991 zu uns nach Neubrandenburg. Er erläuterte den Aufbau und Arbeit der Organisation. Wir vereinbarten, dass ich einen Landesvorsitzenden suche. Ich dachte mir, es müsste eine bedeutende Persönlichkeit sein, um der Gesellschaft die Wichtigkeit des Verbandes zu verdeutlichen.
Wer wurde der erste Landesvorsitzende des WEISSEN RINGS?
Manfred Dachner: Ich konnte Rainer Prachtl, den damaligen Landtagspräsidenten und gebürtigen Neubrandenburger gewinnen. Ich wurde stellvertretender Landesbeauftragter.
Wie gestaltete sich der Aufbau des Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern?
Manfred Dachner: Das erste Büro richteten wir in Neubandenburg ein und konnten einige Mitarbeiter der Polizei für die Mitarbeit beim WEISSEN RING gewinnen. Rainer Prachtl trat im Frühsommer 1991 offiziell sein Amt an. Es entstanden Anlaufstellen in Schwerin, Wismar, Neubrandenburg-Land, Rügen und Ueckermünde. Ende 1991 wurde die Regionalgeschäftsstelle des WEISSEN RINGS für Mecklenburg-Vorpommern in Neubrandenburg eröffnet. Im Gründungsjahr gab es 12 Betreuungsfälle. Die Mitarbeiter mussten ja erst ausgebildet werden.
Erinnern Sie sich an die ersten Betreuungsfälle?
Manfred Dachner: Der erste Fall führte mich nach Rügen. Das war im Herbst 1990. Zwei Jugendliche hatten eine ältere Dame, die alleine in ihrem Haus wohnte, ausgeraubt. Sie stahlen ihre gesamten Ersparnisse in Höhe von 4000 D-Mark, die sie für ihre Beerdigung zurückgelegt hatte. Ich suchte sie auf. Es stellte sich heraus, dass die Kinder der Frau untersagt hatten, etwas anzunehmen, weil alle Betrüger seien. Auch das angebotene Geld wollte sie zunächst nicht. Sie bekam vom WEISSEN RING 4000 D-Mark. Einer der ersten Fälle in Neubrandenburg war ein junger Mann, der ins Krankenhaus musste und weder Waschtasche noch Bademantel hatte. Wir haben ihn ausgerüstet und begleitet.
Wie entwickelten sich die Mitgliedszahlen?
Manfred Dachner: Das war erstaunlich. Wir hatten den größten Mitgliederzuwachs in den ersten fünf Jahren nach der Gründung. Die Mitglieder wollten in der Regel aktiv tätig werden und ehrenamtlich mitarbeiten. Die ersten Mitglieder waren vorrangig Polizisten.
Konnte man den Opfern häuslicher Gewalt nach 1990 wirksam helfen?
Manfred Dachner: Nach 1990 entstanden erste Frauenhäuser in denen drangsalierte Frauen unterkommen konnten.
Wie ging die Entwicklung des WEISSEN RINGS weiter?
Manfred Dachner: Innerhalb eines Jahres haben wir flächendeckend in allen Kreisen des Landes Außenstellen des WEISSEN RINGS aufgebaut. Die Opferbetreuung in Mecklenburg war aber nur durch die finanzielle Unterstützung aus den alten Bundesländern möglich, da wir uns nur aus Spenden, Testamentspenden, Mitgliedsbeiträgen und Geldauflagen der Gerichte und Staatsanwaltschaften finanzieren. Das ist auch heute noch so. 50% unseres Etats bekommen wir als Unterstützung aus den alten Bundesländern. Deshalb werben wir weiter um Mitglieder und ehrenamtliche Helfer.
Vielen Dank für das Gespräch
Manfred Dachner ist Abgeordneter im Schweriner Landtag, stellvertretender Landesvorsitzender des WEISSEN RINGS Mecklenburg-Vorpommern und Leiter der Außenstelle Neubrandenburg.